Eric Clapton attackiert erneut die Corona-Politik. In seinem neuen Protest-Song fordert er: „This has gotta stop“. Was tun, wenn musikalische Idole mit fragwürdigen Einstellungen Schlagzeilen machen? Zeit, sich wieder mehr auf die Kunst zu konzentrieren – und weniger auf den Künstler.
Eric Claptons Kritik an den Corona-Maßnahmen schockiert nicht wirklich. Aber sie gibt Anlass zur Verunsicherung. Wie soll man sich als langjähriger Fan dazu verhalten? Diese Frage steht allerspätestens seit dem dritten Protest-Song der berühmten Blues-Legende im Raum. Mit „This has gotta stop“ hat Eric Clapton zuletzt ein beträchtliches öffentliches Echo ausgelöst.
Eric Clapton nach Impfung: Starke Nebenwirkungen im Song verarbeitet
Das muss ein Ende haben – Damit meint Clapton vor allem den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dem Virus COVID-19. Zu Ungunsten der Kulturbranche, möchte man als wohlwollender Fan schnell hinzufügen. Ich persönlich denke mir nur: Das muss endlich ein Ende haben mit diesem Anti-Corona-Theater. Wie viele namhafte Musiker wollen sich denn noch mit solch fadenscheinigen Interventionen lächerlich machen? Das ist doch doof.
Aber fangen wir vorne an. Wie kam es eigentlich dazu, dass Eric Clapton seinen Frust über Corona und die Lockdowns in einem Song verarbeitet? Laut eigenen Angaben litt der 76-Jährige nach seiner Impfung unter starken Nebenwirkungen. Wohl vor allem, weil seine Nervenkrankheit die Symptome verstärkte. Wie belastend die Erfahrung für Clapton war, verdeutlichen seine Wort im Song „This has gotta stop“: „I can’t move my hands / I break out in sweat / I wanna cry / Can’t take it anymore“. Was hier deutlich durchklingt, ist die Angst vor der eigenen krankheitsbedingten Berufsunfähigkeit. Derart krasse Existenzängste – nicht aus finanziellen Gründen, klar, aber ob des eigenen kreativen Schaffensdrangs – kann man auch auf diesem kommerziellen Level einer Pop-Karriere noch irgendwie nachvollziehen. Dass sich dieser Song in eine schrille Protest-Arie einfügt, die Clapton seit Längerem zum Besten gibt, diskreditiert jede noch so glaubhafte Motivation dahinter. Kurz: Claptons Song ist für mich als Protest-Song nicht überzeugend, weil die Musik hinter dem politischen Getöse völlig untergeht.
Alle reden über Corona, Clapton und Protest – keiner über die Musik
Denn: Alle reden über Eric Clapton. Über die Person, über den Protest. Über seine Gesundheit, über seinen Ruf. Niemand scheint es großartig zu jucken, dass die Musik hinter seinem Protest einfach völlig mittelmäßig, um nicht zu sagen belanglos ist. Ein Protest-Song im 21. Jahrhundert soll so klingen? Come on. Die ganze Aufregung hat nichts damit zu tun, dass Clapton etwa textlich richtig krass den Finger in die Wunde legt. Stattdessen werden Gemeinplätze und Floskeln aufgebrüht – und ziemlich gefährliche dazu. Richtig furchtbar ist zudem, dass die erste Hälfte von „This has gotta stop“ tief in die Corona-Kerbe schlägt, um dann im weiteren Verlauf den Klimawandel mit ins Spiel zu bringen. Sollen hier etwa seine liberalen Hörer friedlich gestimmt werden, die zwar gegen Verschwörungs-theorien aber pro Klimaschutz sind? Oder was genau ist hier los?
„This has gotta stop“ noch mittelmäßiger als „Stand and Deliver“
Auch musikalisch zieht „This has gotta stop“ lediglich altbekannte Register. Da ist nichts dabei, das einen neugierig macht oder gar in seinen Hörgewohnheiten ein bisschen aus der Komfortzone lockt. Nicht, dass Clapton jemals der große Innovator der Pop-Musik gewesen ist. Aber trotzdem. Gegen die kreative Power seiner frühen Schaffensphase, die er beispielsweise in den Stücken von Cream kanalisiert hat, taugt das hier noch nicht mal als Fahrstuhlmusik im New Yorker Trump Tower. Dafür transportiert die Musik viel zu wenig von dem, was sie als vermeintlicher Protest eigentlich bräuchte: Attitude.
Eric Claptons kreativer Coup ist einfach uninspiriert. Man versteht gar nicht, wieso diese kreative Transferleistung von politischem Statement zur musikalischen Komposition überhaupt nötig war. Ein Tweet auf Twitter hätte auch gereicht. Schon Claptons erster Anti-Lockdown-Song „Stand and Deliver“, Ende 2020 in einer Kollaboration mit Van Morrison gelauncht, ließ musikalisch extrem zu wünschen übrig. Dabei schien diese erste kritische Auseinandersetzung mit Corona vor allem auf die verheerenden Folgen für die Kulturbranche zu beziehen.
Tatsächlich wurde der Song als Anti-Corona-Hymne entlarvt, das rhetorisch und ideologisch extrem nah an Corona-Verschwörungstheorien liegt. Clapton und Van Morrison spielen mit ihrem öffentlichkeitswirksamen Protest diesen gefährlichen Strömungen volle Kanne in die Karten. Und das kann man als Person des öffentlichen Lebens mit einem erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung nicht nicht wissen. Selbst wenn man den beiden altgedienten Blues-Legenden anrechnen möchte, dass sie ihrem etablierten Image des Rebellen gerecht werden wollten. So ein Move ist einfach nur dämlich. Und gefährlich.
Fazit: Der Personen-Kult killt die politische Kraft der Pop-Musik
Wie sehr wünscht man sich gelungene politische Interventionen in künstlerischer Form in diesen Zeiten, wenn eine öffentliche Auseinandersetzung völlig lösungslos in die nächste überzugehen scheint. Schließlich hat die Pop-Musik, wie wir sie seit jeher kennen, einen urpolitischen Drive. Konventionen zu sprengen und den Status Quo zu hinterfragen – das ist genau das Erfolgsrezept der Popularmusik, mit der sie sich als die zentrale kulturelle Kraft in unserer Gesellschaft etabliert hat. Claptons müdes musikalisches „Mi mi mi“ gegen die Corona-Politik bringt uns a) in der Diskussion keinen Schritt weiter. Und b) schiebt es einfach nur die allgemeine Empörungswelle an: „Wie?! Der jetzt auch? Aber der hat doch immer so geile Gitarrensolos gespielt?!?1“
Genau in diesem Punkt ist die Diskussion um Corona, Kultur und Protest am Beispiel von Eric Clapton und so vielen anderen so bezeichnend. Lasst doch endlich mal wieder über die Musik reden – und nicht darüber, welche Person dahintersteht. Ich finde, die Kunst hat hier deutlich mehr Mitspracherecht verdient. Und die Musik von Eric Clapton nach wie vor einen Platz in unserem Platten- oder CD-Regal oder in unserer Playlist. Weil manches davon einfach extrem gut ist. Und anderes…eben nicht. Die guten Songs wiegen weder die schlechten noch Claptons zweifelhafte Ansichten auf. Sie sind einfach da – und wir können was mit ihnen anfangen. Oder auch nicht.
Wer den Personen-Kult in der Pop-Musik mitmacht, reduziert Musik auf ihren Status als kulturelles Erzeugnis einer vermeintlich singulären und autonomen Erzeugerfigur. Dabei führen Kunstwerke durchaus ein Eigenleben und bergen Bedeutungen und erzeugen Reaktionen, die so niemand unbedingt vorher geplant haben muss bzw. kann. Die Frage ist nämlich nicht nur, wo Musik herkommt, sondern wohin sie uns führen kann – und sei es nur gedanklich.
Wer weiß, vielleicht läuft Claptons „This has gotta stop“ tatsächlich mal im Trump Tower. Wenn der Namensgeber des Gebäudes dann diesen Song hört, vielleicht denkt er sich ja dann für einen kurzen Moment: „Wow, this is sad. So sad. I would never have thought our movement would someday suck so bad. Maybe I should quit being such a ****, too.“
Spaß beiseite. Lass endlich eine Clapton-Scheibe einlegen. Bei mir läuft jetzt „Strange Brew“. Passend, finde ich. Was läuft bei euch?
Euer J.