Jules Ahoi übers Musiker Werden und authentisch Bleiben

Musikkarriere? Darüber hätte er sich ohne seinen Durchbruch bei Spotify wahrscheinlich wenig Gedanken machen müssen, schätzt Jules Ahoi. Im Interview erklärt der Singer Songwriter, wie man es vom französischen Strand in die Metropole Köln zum Berufsmusiker schafft. Und warum er seine Songs am liebsten auf einer Flohmarktgitarre schreibt.

Lieber Jules, du hast nach Stationen in Münster und Frankreich mittlerweile in Köln als Profi-Musiker Fuß gefasst. Wie startet man heutzutage eine Karriere in der Musik?

Wenn es um den Erfolg in der Musik geht, halte ich es mit Frank Zappa: „First – never stop. Second: Keep on going.” Es wird immer Höhen und Tiefen geben. Es wird viele Zeiten geben, wo es überhaupt nicht läuft. Menschen, die dabeibleiben, und stoisch durchlaufen, die werden weiterkommen. Man darf sich nicht kaputt machen lassen. Solange es Spaß macht, und man Bock darauf hat, sollte man einfach weitermachen.

Was heißt das eigentlich: Berufsmusiker zu sein im Zeitalter des Streaming?

Ohne Spotify müssten wir heute wahrscheinlich nicht über meine Musikerkarriere reden. Ich bin mit dem Song „Robinson Crusoe“ in eine kuratierte Playlist reingerutscht. Das gab dem Ganzen einen großen Schub. Trotzdem sind das am Ende nur Zahlen – Streams. Über musikalischen Erfolg oder Qualität sagen sie nur sehr wenig aus.

Es mit der Musik ernsthaft versuchen, geht das nur in der Metropole?

Man muss nicht in die Metropole ziehen, um es mit der Musik ernsthaft zu versuchen. Die ersten Schritte im „Dorf“ machen, bis jeder deinen Namen kennt, damit geht es los. Die Fanbase zu Hause darf man nicht unterschätzen. Da kommt niemand dran vorbei, egal ob man Bruce Springsteen ist oder wer auch immer. Besser, am Anfang kleine Schritte machen, anstatt einen Riesensprung nach Berlin hinzulegen. Da springt man nämlich in einen Topf rein, der zum Überlaufen voll ist – mit Menschen und Musikern.

In welchem „Dorf“ ist das bei dir mit der Musik losgegangen? Und wie?

Ich komme ursprünglich aus Osnabrück. Ich bin sehr früh mit der Musik gestartet, mit 4 oder 5 zum Klavier getragen worden, obwohl ich Drums vorgezogen habe. Ich habe viel Musik gehört mit meinem Papa – meistens was von Police. Die Band finde ich immer noch gut. Klavier spielen kann ich heute nicht mehr. Die Idee meiner Mama dahinter war es, dass ich ein „richtiges“ Instrument lerne. Währenddessen habe ich in Punkbands getrommelt. Über das Schlagzeug bin ich an Hip-Hop gekommen. In diesem Genre habe ich lange selbst produziert und gerappt. Über den Sprechgesang habe ich zum Gesang gefunden.

Warum Gitarre?

Auf die Gitarre bin ich durch meinen Onkel aufmerksam geworden, der das Instrument sehr gut beherrscht. Ich bin da irgendwie reingerutscht, habe mir Akkorde zeigen lassen, und mir den Rest autodidaktisch beigebracht. Ich bin kein guter Gitarrist. Ich habe meinen Fokus eher auf die Texte gelegt. Würde mich deshalb eher als Autor und Songwriter bezeichnen, erst im zweiten Schritt als Gitarristen. Lyriker vielleicht noch – ich schreibe Gedichte auf Deutsch und Englisch. Aktuell arbeite ich an meinem ersten Prosa-Buch.

Worüber schreibst und singst du in deinen Songs?

Meine Songwriter-Karriere ist mit dem Meer gestartet. Mittlerweile habe ich mich davon etwas distanziert. Meine Themen sind vielfältiger geworden. Aber das Meer ist immer noch ein wichtiges Themensetting. Ich bin vom Indie Folk zum Avantgarde-Pop gekommen und mittlerweile irgendwo im Indie Alternative Pop angekommen. Meine Musik bleibt ein Stilmix.

Mit „Oh, Agnes“ setzt Jules Ahoi ein starkes Zeichen gegen stereotype Geschlechterrollen

Was für eine emotionale Rolle spielt für dich das Meer?

Ich bin nach dem Zivi nach Frankreich ausgewandert – in die Nähe von Biarritz. Dort lebte ich 3 Jahre lang, dort habe ich mich das erste Mal richtig frei gefühlt. Das war wie in eine neue Szene einzutauchen. Die Flucht aus dem Alltag. Man kann den Blick streifen lassen, über einen weiteren Horizont als die gegenüberliegende Häuserwand. Für mich war das ein tolles Gefühl, das für mich nach wie vor den Kern von Songwriting ausmacht. Das Gefühl isoliert, auf sich selbst gestellt zu sein, aber auch den Mut zu finden, auf sein Herz zu hören und auf sein Bauchgefühl zu vertrauen.

Singer Songwriter Jules Ahoi reitet auf einer Welle – auch im Meer (Credits Sidrisima)

Was ist das Erfolgsrezept eines guten Songwriters?

Das A und O ist es, authentisch zu sein. Technik ist zweitrangig. Die Basis sind Geschichten aus dem eigenen Leben. Du brauchst ein fundiertes Wissen über das, worüber du schreiben willst. Natürlich bewegen wir uns in der Kunst. Da ist Fantasie wichtig. Sich in Situationen hineinzudenken, sich zu trauen, Fantasie und Emotionen zuzulassen, das unterscheidet Menschen, die Songs schreiben, von denen, die keine schreiben.

Meine Songs sind für mich wie ein emotionaler Stöpsel. Ich kann in ihnen etwas loswerden, das mich beschäftigt, das mich wachhält. Meistens merke ich, da muss was raus, und wenn ich mich an die Gitarre setze, ist meist schon was da. Die Musik ist da so etwas wie ein „Safe Space“ – du darfst das zulassen. Das ist auch ein großes Thema für Männer – immer noch.

Was für eine Rolle spielt die Gitarre bei deinem Songwriting?

Ich schreibe fast alle Songs auf einer 5 Euro Gitarre. Das ist eine original Otto Schade, Marke Oscha aus den Fünfzigern. Die Gitarre ist total durch, gar nicht mehr bundrein. Vor 15 Jahren habe ich die auf einem Flohmarkt ergattert. Seitdem ist sie als Gitarre fürs Songwriting gesetzt.

Allerdings spiele ich live und im Studio eine Martin D-28. Ich war schon immer ein großer Martin Fan. Meine erste hat mir mein Vater im Namen der Familie geschenkt – zu meinem allerersten Album mit meiner ersten Band. Von der Kohle meines vorletzten Albums habe ich mir dann eine D-28 gekauft. Einfach ein geiles Instrument!

Und E-Gitarre?!

Spiele ich auch. Ich besitze eine Telecaster (Mex), creme-weiß, mit weißem Griffbrett. Die ist durch eine bewegende Geschichte zu mir gekommen. Ich habe bei Ebay immer wieder nach dem Modell gesucht und schließlich einen Verkäufer angeschrieben. Ich bin bei ihm vorbeigefahren, um sie anzuspielen. Habe mich sofort gut mit dem Verkäufer verstanden und von ihm erfahren, dass er krank ist. Beim Kaffee hat er mir erzählt, dass er an Krebs leidet und Käufer für seine Instrumente sucht, die sie auch wirklich spielen und wertschätzen.

Ich habe ihm versprochen, das zu tun. Jedes Mal, wenn ich die Gitarre heute in die Hand nehme. denke ich an das Gespräch. Instrumente transportieren Emotionalität. Sie sind wie Schwämme, saugen das auf. Seither ist die Tele meine „go to“ E-Gitarre. Die bringe ich auch bei einigen Songs auf meinem neuen Album zum Twangen.

Wo und wie hast du dein neues Album aufgenommen?

„Melancholic Dreamwave“ wird in 2022 rauskommen. Das Album ist in den letzten 2 Jahren entstanden. Wir haben alles in meiner Bude, in einem 10m² großen Raum recordet. Deswegen hört man auf machen Songs im Hintergrund die Vögelchen zwitschern und den Regen an die Scheibe prasseln.

Ich bin morgens aufgestanden und abends ins Bett – und habe zwischendrin nur recordet. Dieses Gefühl der Isolation war bestimmend, der Schwerelosigkeit, wie im Vakuum, im luftleeren Raum. Seit Corona war kein Zug, kein Druck mehr.

Jules Ahoi über die Entstehung seines neuen Albums „Melancholic Dreamwave“

Die Technik fürs Recording hatte ich selbst zusammengestellt. Analoge Tape Delays, analoge Preamps, gute Mikros – ich habe angefangen, alles selbst zu machen, mir das Produzieren selbst beizubringen. Mit meinem Freund und Produzenten Lukas Streich habe ich das Album maßgeblich mitproduziert. Deshalb ist das auch so nah an mir selbst dran. Jedes Delay auf der Platte ist analog über ein Tape gelaufen. Ich will gar nicht wissen, wie die Stromrechnung dieses Jahr ausfällt.

Was magst du an Köln?

Köln ist das erwachsene Münster. In dieser Medienstadt hat man ganz andere Möglichkeiten. Ich finde, Köln ist ein gutes Zwischending zwischen Berlin und mittelgroßen Städten wie Münster. Grundsätzlich mag ich die Stadt einfach. Hier wird viel experimentiert. Es ist eine Jazz-Stadt. Es gibt viel Kunst und Kultur, tolle Museen, Ausstellungen, Galerien. Das Kölsche Lebensgefühl, diese Offenheit gegenüber Neuem und Fremden, damit komme ich sehr gut zurecht.

Wieso nicht nach Berlin?

Berlin finde ich auch gut, bin ich sehr gern. Momentan fahre ich aber auch immer noch gerne wieder raus. In Berlin hat man wahnsinnige Möglichkeiten für Kollaborationen, mit Musikern, Produzenten. Auch Köln bietet das. Man lernt Leute kennen, findet Möglichkeiten, im Studio zu arbeiten, baut sich ein Netzwerk auf. Die Stadt war schon immer ein Riesenstandort, weil die EMI hier war. Die Studios sind heute noch da, die Leute, die damals dort gearbeitet haben, auch. In einem davon, dem Maarwegstudio – einem der schönsten Studios Deutschlands – gehe ich heute ein und aus. Darauf bin ich stolz.

Und Frankreich – vermisst du das Exil am Meer?

Ich wollte mich 100% der Musik widmen. Das war aus Frankreich irgendwann zu schwierig. Ich habe Anschluss an die deutsche Musikszene gesucht. Mittlerweile bin ich in Köln gut angekommen. Köln war der nächste logische Schritt nach meiner musikalischen Heimat – Münster. Dort habe ich Abi gemacht und meine erste Band gegründet, die erste Fanbase gehabt. Münster ist immer noch ein besonderer Ort für mich. Die Stadt ist wahnsinnig dankbar, was neue Musik angeht. Das hat schon etwas von Lokalpatriotismus. Die Stadt ist für mich immer noch ein Stück Heimat.

Lieber Jules, vielen Dank für das Gespräch.

Folge Jules Ahoi auf Instagram. Schau auch mal auf seiner Website vorbei. Die nächste Tour kommt bestimmt auch in dein Dorf.

Veröffentlicht von Johannes Kohrs

Gitarrist, Moderator und Herausgeber von Jam Schwätzen.

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